Wie versteckt man eigentlich ein Schlachtschiff auf dem Meer?

Wir schreiben den 29. Mai 1915 und befinden uns im sonnigen und warmen Mittelmeer. Auf dem europäischen Kontinet tobt ein vernichtender Krieg, der auch vor den Meeren kein Halt macht. Auch die „UB-8“ unter Leutnant von Voigt befindet sich auf Beutejagd.

Die „UB-8“ gehört der UB I Klasse, einer U-Boot Baureihe kleiner Jäger, die für küstennahen Einsatz entwickelt waren. Sie verdrängen gerade mal 127 Tonnen, weniger als viele Yachten heutzutage, sind nur knapp 29 Meter lang, können offiziell bis zu 50 Meter tief tauchen und haben 2 Torpedos als Bewaffnung. „Baby-U-Boote“ werden sie auch schon mal im Spottmund genannt.

Doch diese Bezeichnung täuscht. „UB-8“ ist klein und wendig, noch schwerer zu entdecken, als ein gewöhnliches U-Boot. Und gerade jetzt schaut Leutnant von Voigt durch den Periskop auf ein mächtiges Schlachtschiff: die britsche „Tiger“!

Das neuste und modernste Schlachtschiff der britischen Home Fleet präsentiert sich klar und deutlich im Periskop vor dem abendlichen Himmel. Knapp 30.000 Tonnen Wasserverdrängung, mächtige 8x343mm Geschütze, über 1200 Menschen Besatzung! Welch eine Beute für die kleine UB-8! Zwar sollte sich der „Tiger“ in der Dardanellenregion befinden, aber was solls, da war wohl die Auskunft des Nachrichtendienstes nicht so verlässlich.

Leutnant von Voigt beobachtet kurz das Schiff. An sich ist die „Tiger“ viel schneller, als die UB-8. Aber offenbar fühlen sich die Briten sehr sicher. Das Kriegsschiff fährt langsam und sogar in gerader Linie, nicht, wie in der Regel aus Angst vor U-Booten, in ZickZack Kurs. Vermutlich weiß die Besatzung nichts von der U-Boot-Gefahr hier und fühlt sich völlig sicher, so nahe an das neutrale Strati und unweit des eigenen Hafens in Mudros.

„Torpedo los!“ brüllt der Leutnant. Sekunden vergehen, Treffer! Die Explosion ist so gewaltig, dass die kleine UB-8 regelrecht durchgeschüttelt wird. Die Seeleute brüllen vor Freude, erste Beute, und dann gleich so eine! Nicht einmal ein Fischerboot bisher und jetzt gleich der größte und modernste britische Kreuzer!

Von Voigt schaut durch Periskop auf das sinkende Schlachtschiff. Unwillkürlich entweichen ihm Worte der Bewunderung: das Schiff sinkt, aber es bricht keine Panik an Bord. Zielgerichtet, schnell und effektiv werden Rettungsboote abgelassen, die Mannschaft rettet sich.

Vor seinen Augen löst sich eines der gewaltigen, tonnenschweren 343 mm Geschütze und fällt ins Wasser. Es schwimmt.

Fassungslos starrt von Voigt auf die monströse Kanone, die einfach auf dem Wasser schwimmt und nicht untergehen möchte. Er zweifelt an seinem Verstand und läßt den Periskopgriff. Knocke, sein Vertreter, erstaunt durch die Reaktion des Kapitäns, schaut selbst durch Periskop. Er sieht noch gerade, wie das Wasser bis zum nächsten Turm reicht. Dieser hebt sich, je mehr das Schiff sinkt, und schwimmt davon. Dann entdeckt er zwei weitere stählerne Schornsteine. Aber auch diese schwimmen. Das ist doch unmöglich??? Knocke reibt sich die Augen vor Verblüffung und schaut noch mal durch Periskop. In dem Moment hebt sich das sinkende Schiff, von seinem Heck fällt ein riesiges Stück Blech ab und Knocke sieht vor sich…. ein gewöhnliches Handelsschiff. Ein großes zwar, aber kein mächtiges Kriegsschiff, sondern als ein solches getarntes Handelsschiff! Deswegen schwimmen die Kanonen und Schornsteine, die sind ja gar nicht aus Stahl, sondern nur aus Holz!

Was Knocke und von Voigt nicht wissen zu dieser Zeit, ihr Opfer war nicht die Tiger, sondern die „Merion“, ein gewöhnliches Handelsschiff mit 11621 BRT und 117 Seeleuten Besatzung. Die „Merlon“ war eines der 14 Schiffe, die eine bisher in der Geschichte einmalige Tarnoperation durchgeführt haben.

Die Werft „Harland & Wolff“ in Belfast baute insgesamt 14 Schiffe zu mehr oder weniger exakten Kopien bekannter britischer Schlachtschiffe. Der Umbau musste gut genug sein, dass er sowohl vom Wasser als auch von der Luft nicht zu erkennen ist. Somit konnte die britische Marine wunderbar den deutschen Spionagedienst täuschen. So standen die Kopien der „Indomitable“ und „Invincible“ brav in britschen Häfen, als die richtigen Kriegssschiffe völlig unerwartet bei den Falklandinseln auftauchten und die Flotte des Graf von Spee vernichteten (von der Schlacht habe ich bereits geschrieben).

Doch die Karriere der Tarnschiffe war schnell vorbei. Bereits 1915 waren alle deutschen piratenden Kriegsschiffe zerstört oder interniert. Die umgebauten Handelsschiffe waren viel langsam und behäbiger, als die regulären Schlachtschiffe, so dass sie deren Verbände gefährlich verlangsamten. Ihr Einsatz als Täuschung bei den Dardanellen führte zur starken Verlusten. Daher bereits 1915/1916 entschied man sich, das „10. Kampfgeschwader“ wieder aufzulösen.

An dieses Konzept der Tarnung griff man auch im Zweiten Weltkrieg zurück, aber das erzähle ich bei einem anderen Mal