In einem unserer Postings bei Facebook stellte der Leser W. D. eine sehr interessante Frage auf, die ich hier gern etwas umfangreicher erläutern möchte. Vielen Dank für die Frage!

Dunquerque

Wir kennen alle die klassischen Schlachtschiffe mit ihren vorne, seitlich und hinten aufgestellten mächtigen Geschütze. Doch war dies nicht die einzige Einordnung. Schiffe der britischen Nelson-Klasse und vor allem die berühmten französischen Schlachtschiffe der Dunquerque-Klasse hatten ihre schwere Artillerie zusammengefasst vorne, während sie nach hinten fast wehrlos (bis auf kleineres Kaliber) waren. Warum? Woher kam dieser Konzept?

Meines Erachtens gibt es dazu mehrere Gründe. Zunächst einmal muss man sich vor Augen halten, dass die Dunquerque Klasse in den 30er Jahren gebaut wurde. Zu dieser Zeit waren die Dreadnoughts erst wenige Jahrzehnte alt. Es war schon klar, dass dieser Schiffstyp den anderen bisher genutzten überlegen war, aber noch nicht entschieden, ob dies der letzte Wurf ist. Vielleicht gibt es eine noch bessere Anordnung?

Zu dieser Zeit war die Kriegsführung zur See sehr stark vom Kaliber der Geschütze bestimmt: je höher, umso besser. Wenn man daher ein eher mittelgroßes Schiff zur Verfügung hat (die Dunquerque-Klasse hatte zwischen 26500 und 35500 Tonnen) muss man sich festlegen: entweder mehr kleinere oder einige wenige richtig dicke Geschütze. Gemäß der dominierenden Meinung ist ein größeres Geschütz besser, also lieber weniger davon, aber dafür Kaliber so stark wie möglich.

Dann stellt sich die nächste Frage: wo die Geschütze platzieren? Die klassische Aufteilung eines Dreadnoughts (1-2 Türme vorne, je einer pro Seite, einer hinten) hat den Nachteil, dass bei einem klassischen Kampf Schiff gegen Schiff mindestens eines der Geschütze immer untätig ist, sozusagen im toten Winkel, vom Feind abgewandt. Bei einem Kampf nach vorne sogar noch schlimmer: da ist nur die Frontartillerie einsetzbar.

Zur damaligen Zeit herrschte stark die Strategieauffassung, dass ein Seekampf darin besteht, dass zwei Flotten aufeinander zukommen und sich während dessen beschießen.

Ganz besonders gefürchtet war die Strategie Crossing-the-T: die eine Partei stellt sich in einer Linie auf, als der Querbalken des T, während der Gegner frontal diese angreifen muss. Der Angreifende kann nur seine Frontgeschütze einsetzen, während der quer stehende Gegner ihn mit der geballten Artillerie aller Schiffe beschießen kann.

Crossing the T
Stephan Brunker 2004, Crossing the T, CC BY-SA 3.0

Bei derartiger Frontalattacke waren die Schiffe der Dunquerque-Klasse wesentlich mächtiger, als ihre Tonnage und Größe vermuten ließ: sie hatten ihre wenigen aber dafür umso mächtigen Geschütze in dieser Situation voll einsetzen können. Nach dem klassischen Prinzip gebaute vergleichbar große Kriegsschiffe hatten zwar mehr Geschütze, aber deutlich kleineres Kaliber und konnten während einer solchen Frontattacke nur ihre schwächere Bugartillerie (höchstens noch teilweise die Seitengeschütze) einsetzen können. Der Rest ihrer Geschütze war praktisch vollkommen nutzlos. Damit waren sie in derartiger Situation den frontal stark bewaffeneten Dunquerque-Klasse Schiffen mächtig unterlegen.

Kriegsschiffe dieses Types konnten es daher sogar mit einem deutlich größeren Feind aufnehmen, als ihre Tonnage es vermuten ließ!

Vorne Zerstörer Le Fantasque, dahinter Dunquerque Juni 1939

Rundumbewaffnung ist sehr gut für Verteidigung, Breitseitenkampf und Flucht, aber gleichzeitig unnötige Verschwendung von Ressourcen bei einem Frontangriff. Vielleicht gingen damals die Franzosen auch davon aus, dass sie nie vor einem Feind flüchten werden? 😉

Damit verbunden ist auch das Thema der Gewichtseinsparung: geht man von einem Frontangriff aus, reicht es aus, den vorderen Teil stark zu panzern und den Rest weniger. Da die schweren Geschütze nur vorne sind, braucht man nur dort eine gut gepanzerte Waffenkammer, was zusätzlich Platz und Gewicht spart. Dies war vor allem entscheidend im Hinblick auf den Washingtoner Friedensvertrag. Dieser untersagte den Bau von neuen Schlachtschiffen mit mehr als 35.000 ts und Kaliber größer als 406 mm. Während die zweite Einschränkung nicht so wichtig war (größere Patronen waren sowieso schwer zu handhaben), erwiesen sich die 35.000 schon als ernste Beschränkung der immer größer und schwerer gepanzerter Schiffe. Da zählte regelrecht jede Tonne, die man einsparen konnte.

Der dritte Punkt wiederum war die Tatsache, dass die Dunquerque-Klasse hinten auch auch Flugzeug mit sich geführt hatte. Irgendwo musste die Maschine hin. Der Weg der Deutschen, mehr oder weniger in der Mitte des Schiffes die Rampe zu bauen, erwies sich im Krieg auch als nicht wirklich ideal.

In Mars-El-Kebir kam die strategisch ungünstige Liegeposition hinzu: rückwärts das Meer, die Geschütze aufs Land gerichtet. Vermutlich rechneten die Planer niemals mit der Situation, die dann 1940 tatsächlich geschah. Wären die Schiffe dort anders verankert, so dass ihre Frontgeschütze aufs Meer zeigen würden, hätten die Briten kein solch leichtes Spiel gehabt.

Zwischendurch erwies es sich ziemlich eindeutig, dass bei schweren Schlachtschiffen eine rundum-Bewaffnung besser und die starke Frontbewaffnung eine der Sackgassen der Geschichte ist.