In ihren Attacken auf allierte Frachtschiffe versenkten die beiden Schlachtschiffe „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ bis 1941 115.000 BRT. Über die Frachtschiffe auf dem Atlantik legte sich eine Aura aus  Furcht. Die beiden schwer bewaffneten Kriegsschiffe waren nicht wirklich greifbar, tauchten hier und da und verbreiteten Angst und Schrecken.

Realistisch betrachtet waren die eingerichteten Schäden jedoch wesentlich geringer, als die deutsche Kriegspropaganda es gern hätte. Ein gewöhnlicher Russlandkonvoi zur selben Zeit hatte in der Regel zwischen 150.000 und 200.000 Tonnen BRT. Die Schäden also, trotz des Einsatzes und der Verlustgefahr von zwei großen Kampfschiffen, waren im Verhältnis daher viel zu gering, als sich die weiteren Einsätze auf dem Atlantik gelohnt hätten. Vor allem angesichts des Beitrittes der USA zum Krieg mit deren überlegener Flotte.

Daraufhin wurden die beiden Kriegsschiffe nach Brest beordert, wo die erschöpfte Besatzung erst einmal Ruhe finden konnte und notwendige Reparaturen (die Maschinen der „Gneisenau“ machten immer wieder Probleme) durchgeführt werden konnten.

Der Ärmelkanal

Brest war jedoch alles andere als idealer Hafen. Es lang in der Reichweite der britischen Home Fleet sowie der britischen RAF-Bomber, die wiederholt Angriffe flogen. Ihre Bomben trafen mehrfach die beiden Kriegsschiffe, ohne jedoch deren Einsatzbereitschaft nennenswert zu beschränken. Nach Pearl Harbor machte sich unter den Deutschen jedoch die Angst breit, ihre Kampfschiffe früher oder später durch solche Angriffe tatsächlich verlieren zu können.

RAF Bomber Halifax über dem Hafen von Brest

Daher beschlossen die Deutschen, allen voran Hitler, die Schiffe nach Norwegen zu verlegen, wo sie einerseits vor britischen Flugzeugangriffen deutlich sicherer wären, andererseits aber eine akute Bedrohung für die Nachschublinien nach Russland bilden konnten.

Zwei Möglichkeiten boten sich im Wesentlichen für eine Flucht aus Brest: nach Norden, zwischen Island und Grönland, nördlich der Britischen Inseln, oder via Ärmelkanal. Die erste Möglichkeit war zwar deutlich länger, klang aber auf den ersten Blick deutlich sicherer als eine Fahrt durch den Kanal direkt vor der Nase der Briten. Viele Faktoren sprachen jedoch dagegen: frisch ergänzte, noch unerfahrene Besatzung, lange Route, die viele Möglichkeiten der Begegnung mit britischen Schiffen möglichen machten sowie der Verlust der „Bismarck“ auf genau derselben Route (nur eben in entgegengesetzte Richtung). Trotz der Widerstände der Führung der Kriegsmarine entschied man sich daher für den Ärmelkanal. Am 12. Januar 1942 fiel die Entscheidung für die „Operation Cerberus“.

Scharnhorst und Gneisenau im Hafen von Brest

Die mächtige deutsche Propagandamaschine legte sofort los und verbreitete die Fehlinformation, beide Schiffe würden in den südlichen Atlantik vorstoßen, um dort Konvois anzugreifen. Gleichzeitig allnächtlich stahlen sich insgesamt 8 Verbände aus Minensuchschiffen in den Kanal, um die unzähligen Minenfelder zu räumen, die darin lauerten. Ein Wettlauf begann: in der Nacht räumten die Deutschen die Minen weg, am Tag setzten die Briten wieder neue ein. Die Kriegsmarine merkte dies erst, als aus dem zur Unterstützung herbeigerufenen Zerstörerverband die „Bruno Heinemann“ auf zwei Magnetminien lief und sank.

Dennoch entschied man sich, den Plan weiter fortzuführen.

Am 11. Februar, dem geplanten Tag des Auslaufens, gegen 22.00 griffen britische Flugzeuge den Hafen von Brest an. Als die übliche Verteidigungsmassnahme wurde der Hafen völlig eingenebelt. Sofort machten sich die Kriegsschiffe los und wurden von Schleppern aus dem Hafen gebracht, trotz der noch fallenden Bomben. Dank der dichten Nebelwand entdeckten die britischen Flugzeuge die Flucht nicht, auch der vor dem Hafen patroullierende U-Boot Sealion verließ vor wenigen Stunden seinen Platz, um Batterien aufzuladen. So hatten die Briten keine Ahnung davon, dass ihre Beute den Hafen verlassen hatte.

Der Verband, bestehend aus „Scharnhorst“, „Gneisenau“, „Prinz Eugen“ lief unter der Führung von Viceadmiral Otto Cilliax auf dem ersten davon mit Vollgas in den Kanal. Fünf weitere Zerstörer (Z-29, Z-25, „Richard Beitzen“, „Hermann Schoemann“, „Friedrich Ihn“ begleiten sie. Insgesamt 252 Jäger der Luftwaffe sorgten für Unterstützung aus der Luft. Später kamen noch weitere Verbände von Torpedobooten dazu. Und die Briten hatten weiterhin keine Ahnung.

Prinz Eugen

Zu dieser Zeit standen am Kanal lediglich sechs Zerstörer und zwei Verbände Torpedoboote. Zwar schlossen die Briten die Möglichkeit einer Flucht durch den Kanal nicht wirklich aus, aber für wirklich wahrscheinlich hielten sie es nicht.

Erst kurz vor Dover entdeckten zwei patroullierende Jäger den Verband. Ihrer Meldung schenkte man aber zuerst Unglauben, so dass erst nach einer ganzen Weile den Briten bewusst wurde, wer da vor ihrer Nase fuhr.

Um 12.29 kam der Verband in die Reichweite der britischen Landgeschütze aus South Foreland. Diese begannen sofort mit dem Beschuss und feuerten insgesamt 33 mal, ohne jedoch einen Treffer zu landen. Auch der folgende Angriff der britischen Torpedoboote war erfolglos. Angesichts der schweren Geschütze und angreifenden Zerstörer mussten sie ihre Torpedos aus so weiter Entfernung abschießen, dass kein Treffer gelandet werden konnte.

Fairey Swordfish

Nun passiert der Verband Dover. Hoffnung macht sich unter den Deutschen breit, als um 13.34 wieder Flugzeuge auftauchen: sechs Fairey Swordfish vom 825. Verband, bewaffnet mit tödlichen Torpedos. Die schwerfälligen Flugzeuge haben, trotz eines mutigen Angriffes, keine Chance und werden sämtlich abgeschossen. Ebenso schlagen die Deutschen mit ihrem heftigen Abwehrfeuer ein Angriff von fünf Whirlwinds um 14.45 zurück. Auch die folgenden Angriffe gehen ins Leere.

Um 15.31 wird die mittlerweile gewachsene Hoffnung der Deutschen auf einen erfolgreichen Durchbruch jäh unterbrochen. Eine gewaltige Explosion neben Scharnhorst zwingt das Schiff zum Stoppen. Binnen kurzen brechen 1200 Tonnen Wasser sich ihre Bahn in den Rumpf. Admiral Cilliax wechselt auf den Z-29, während „Gneisenau“ und „Prinz Eugen“ weiterfahren, begleitet von den Zerstörern.

Scharnhorst
Bundesarchiv DVM 10 Bild-23-63-46

Die Spannung ist unerträglich, als plötzlich hinter den beiden schweren Kriegsschiffen ein gewaltiger Schatten auftaucht. Ein britisches Kriegsschiff? Nein, zum Glück ist es die „Scharnhorst“, deren Mannschaft den Schaden in den Griff bekam und wieder gut 27 Knoten Fahrt machen konnte. Der Verband ist wieder komplett.

Die Briten geraten immer mehr in Panik. Es wäre eine Blamage sondergleichen, drei schwere deutsche Kriegsschiffe direkt vor ihrer Nase flüchten zu lassen. Sie werfen alles in den Kampf, was sie haben. Nur ist es nicht mehr viel.

16.17 greifen fünf britische Zerstörer an: HMS „Campbell“, „Vivacious“, „Worcester“, „Whitshed“, „Mackay“, alles eigentlich veraltete Kriegsschiffe, aber wenigstens mit gefährlichen Torpedos bewaffnet. Aus einer Entfernung von zwei bis vier Kilometer feuern sie ihre Aale ab, leider gehen auch diese vorbei. Die sich mit allen Geschützen wehrenden Deutschen treffen „Worcester“ und beschädigten den Zerstörer schwer.

Zur gleichen Zeit greifen britische Bomber Hudson und Beaufort an, wieder erfolglos. Dann bricht die Nacht ein und mit ihr kommen Wellington-Bomber, wieder kein Treffer. Insgesamt warfen die Briten 675 Flugzeuge gegen den deutschen Verband, Bomber, Torpedoflugzeuge, Jäger. Die einzigen Schäden waren aber nur leichte Treffer an der „Richard Beitzen“, „Hermann Schoemann“, T-31 und „Jaguar“. Nur ein Vorpostenboot V1302 konnte versenkt werden. Wie viele Flugzeuge insgesamt abgeschossen wurden, ist bis heute nicht wirklich sicher, aber die britischen Verluste waren hoch.

Beaufort Bomber

19.55 erwischt es die „Gneisenau“. Wieder eine gewaltige Explosion, wieder eine Mine. Die Schäden halten sich aber in Grenzen, lediglich die Geschwindigkeit muss herabgesetzt werden. Um 3.50 erreicht das Kriegsschiff Helgoland.

Dann trifft es wieder die „Scharnhorst“. Eine weitere Explosion um 22.34 beschädigt das Schiff erneut, so dass es wieder stoppen muss. Nach einer halben Stunde hektischer Reparaturen kann das Schiff mit verminderter Geschwindigkeit wieder die Fahrt fortfahren. Ohne weitere Probleme erreicht  „Scharnhorst“  Wilhelmshaven.

Was in den folgenden Tagen auf den Britischen Inseln los war, kann man sich leicht vorstellen. Das Wort „Skandal“ stand wohl auf allen Titelblättern. Satte 300 Meilen schaffte der deutsche Verband vor den Augen der Allierten, bevor er überhaupt entdeckt wurde! Wie soll man sich da vor einem möglichen deutschen Angriff überhaupt schützen, wenn die Flotte und RAF unfähig sind, drei große deutsche Kriegsschiffe und viele Zerstörer direkt vor ihrer Nase überhaupt zu bemerken?

Gneisenau
Bundesarchiv DVM 10 Bild-23-63-11,

Dennoch fällt es schwer, die Flucht aus Brest als einen Sieg der Deutschen anzusehen. Vielmehr war es ein typischer Pyrrhussieg.

Durch die Flucht war schlagartig eine große Gefahr für die atlantische Seefahrt gebannt, so dass viele dort sich im Einsatz befindenden schweren Kriegsschiffe näher an die britischen Inseln gezogen werden konnten. Die Erleichterung der Allierten war sogar so groß, dass Fränklin D. Roosevelt Winston Churchill wegen der gebannten Bedrohung gratulierte! Erich Raeder sah das selbst ein: er sprach danach von einem „taktischen Sieg, aber einer strategischen Niederlage“.

Anstelle sofort nach Norwegen aufzubrechen, wie der eigentliche Plan es vorsah, mussten die beiden schweren Schlachtschiffe erst einmal in die Werft. „Scharnhorst“ fiel für acht Monate aus, bevor sie nach Nordnorwegen verlegt wurde, wo wie am 26. Dezember 1943 versenkt wurde. Die „Gneisenau“ wurde während der Reparaturen im Schwimmdock in Kiel bei einem Flugzeugangriff so schwer beschädigt, dass sie am 1. Juli 1942 außer Dienst gestellt werden musste und ihr Leben kümmerlich als versenkter Blockadeschiff im Hafen von Gdynia beendet hatte.

Gneisenau im Dock von Kiel

So gelang es zwar den Briten nicht, die deutschen Kriegsschiffe in einer Schlacht direkt zu versenken, aber als Folge der Flucht gingen auch die zwei schweren Schlachtschiffe unter.