Man schreibt das Jahr 1943. Der Krieg tobt noch zwar auf allen Fronten, langsam kristallisiert sich jedoch die Überlegenheit der Alliierten. Die Fronten stocken, Niederlagen Deutschlands mehren sich, die Ressourcen der Achsenmächte sind zunehmend erschöpft, während die Wirtschaft der Gegner langsam aber sicher auf Touren kommt und mit jedem Tag überlegener wird. Immer häufiger wird von beiden Seiten das Thema Invasion angesprochen, immer wahrscheinlicher wird die Verlegung der Kämpfe aufs europäische Festland.

Wäre da nicht das Wasser. Die Britten und die Amerikaner sind durch große Wassermassen vom Festland getrennt. Selbst an den engsten Stellen wird eine seebasierte Invasion zu einem gewaltigen Risiko. Fast wehrlos sind die schwer mit Soldaten beladenen Schiffe, wenn sie die Küste erreichen. Gut platzierte Maschinengewehre mähen die durchs tiefe Wasser stapfenden Soldaten nieder. Entsetzliche Verluste sind vorprogrammiert, das wissen die Generäle. Es sei denn…. der Feind erfährt nichts vom tatsächlichen Angriffsziel und konzentriert seine Waffen woanders.

Wir befinden uns im engen und stickigen Raum tief in den Keller der Admiralität in London. Ideen werden vorgebracht und wieder verworfen, nichts gefällt Ewen Montagu, einem Offizier des britischen Geheimdienstes und zuständig für die Täuschung der Deutschen.  Montagu weiß, dass nur und alleine Sizilien als sinnvolles Invasionsziel in Frage kommt, der Gegner dies aber ebenfalls weiß und mit Sicherheit dort seine Verteidigung konzentriert. Wie bringt man die Deutschen bloß dazu, das naheliegende zu verwerfen und sich auf etwas völlig abstruses zu konzentrieren?

Ewen Montagu

Erst als Charles Christopher Cholmondeley vom MI5 das Wort ergreift, versteift sich Montagu und hört aufmerksam zu. Die Idee von Cholmondeley: man werfe den Deutschen einfach eine Leiche vor, einen angeblich beim Unfall ums Leben gekommenen britischen Offizier, der rein zufällig streng geheime Invasionsunterlagen bei sich trägt. Man täusche eine Flugzeugkatastrophe vor, fabrizierte falsche Dokumente und hoffe, dass die Deutschen so naiv sein werden, das offensichtliche zu verwerfen! Montagu ist wie elektrisiert! Eine geniale Idee!

Sofort geht ein Telegramm an Captain Alan Hilgarth, dem britischen Attache in Madrid mit der Anforderungen, einen verlässlichen und mit lokalen Begebenheiten vertrauten Mann nach London zu schicken. Sofort macht sich Salvador August Gomez-Beary nach London. Gemeinsam legen sie den Ort fest, wo die Leiche angeschwemmt werden soll: Huelvie. Dort ist ein deutscher Spion namens Adolf Clauss tätig, soll er den Toten doch finden!

Wo kriegt man nur eine passende Leiche her? Nach mühevoller Suche finden die Geheimdienstler die einen 34 jährigen Mann, der im November 1942 auf Lungenentzündung gestorben ist, weil er Rattengift gegessen hatte. Dank der Lungenentzündung ist seine Lunge voller Flüssigkeit, ähnelt also zumindest oberflächlich einem tatsächlich Ertrunkenen.

Aber die Deutschen sind nicht dumm, das wissen die Briten nur zu Genüge. Ihre Agenten sind überall, ihre Abwehr gehört zu den besten der Welt. Die Briten dürfen sich keine Nachlässigkeit erlauben.

Der neu geschaffene Mann soll Captain Major William Martin heißen, ein Royal Marines, geboren am 1907 in Cardiff in Wales, kürzlich abgeordnet zum Combined Operations Headquarter.

Pam

Sofort wird die passende Uniform gekauft. Cholmondeley, der Ideengeber, bekommt die ehrenvolle Aufgabe, diese drei Monate lang Tag und Nacht zu tragen, damit sie sich glaubhaft abnutzt. Eine Angestellte des MI5, Jean Leslie, wird zu Martins Verlobten Pam und ihr reizvolles Foto vor einer verträumten Bucht im Hintergrund landet im Geldbeutel Martins, zusammen mit einem Liebesbrief und einem weiteren Brief des sehr unzufriedenen Vaters von Pam, der ihre Wahl des Verlobten nicht für gut hält! Auch an einen Bund Schlüssel und Kinokarten denken die Briten, zum Glück vollständig korrekt, denn später überprüfen die Deutschen tatsächlich das Datum der Kinokarten!

Dann taucht aber ein großes Problem auf: man hat eine Leiche, man hat eine Geschichte, aber man hat kein Foto des Toten! Nichts, kein einziges! Wie soll man da einen glaubhaften Ausweis hinkriegen? Zum Glück findet sich jemand, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Toten hat, so dass sein Foto genommen werden kann. Die Briten haben gute Hoffnung, dass die kleinen Unterschiede an der verwesenden Leiche nicht mehr feststellbar sein werden, wenn die Deutschen Martin in die Hände bekommen.

Ausweis von Martin

Man denkt sogar daran, Martin ein etwas leichtfertiges Image zu beschaffen: ein Auszug mit Fehlbetrag auf dem Konto wird ihm beigelegt, eine Mahnung für eine Rechnung und abgelaufene Zulassungsberechtigung zum COHQ.

Parallel zu den Vorbereitungen fabrizieren die Briten Dokumente, aus denen hervorgeht, dass die Invasion nicht auf Sizilien, sondern auf dem Balkan erfolgen wird. Ein angeblich privater Brief vom General Archibald Nye, dem Vizechef des Staab, gerichtet an General Harold Alexander, dem britischen Kommandant in Afrika, verrät Details vom Plan „Husky“, der hier zu einem Angriff auf Griechenland umgemünzt wird.  So soll der Eindruck entstehen, dass die Briten sowohl auf dem Balkan als auch in Griechenland angreifen wollen. Im unnachahmlich britischen Humor sind sich die Geheimdienstler sogar nicht zu schade, zu erwähnen, dass die Vorbereitungen den Eindruck erwecken sollen, man wolle Sizilien angreifen, um die Deutschen vom wahren Ziel der Invasion abzulenken. Dreist, oder?

Martin wird in trockenes Eis eingelegt und in einem dicht versiegelten Stahlzylinder an Bord der HMS „Seraph“ gebracht, eines U-Bootes des Typs S. Am 19 April 1943 lief die „Seraph“ aus und begab sich in Richtung Huelvie.

HMS Seraph

Am 30. April um 4.30 taucht die „Seraph“ vorsichtig einige Meilen von der spanischen Küste auf. Die Mannschaft wird darüber informiert, dass ein streng geheimes Instrument ins Wasser gelassen werden soll. Stattdessen blasen die Offiziere die Rettungsweste des Toten auf und nach dem Ablesen vom Psalm 39 (alle Seeleute sind nun einmal abergläubisch), wird der Tote ins Wasser gelassen. Die angespannten Nerven führen fast zur Panik, als sich herausstellt, dass der verdammte Stahlzylinder nicht untergehen will, während der Himmel im Osten immer heller wird. Endlich hilft etwas Sprengstoff und die „Seraph“, nach dem Verwischen aller Spuren, verschwindet in den Fluten.

Der dreiste Plan geht glänzend auf. Gegen 9.30 findet ein Fischer die Leiche und informiert die Polizei. Kurze Zeit später erfährt von dem Vorfall Adolf Clauss, die Deutschen sind in heller Aufregung. Sofort wird die Autopsie vorgenommen, doch im Raum ist es so stickig und warm, dass die Leiche sehr bald zu stinken beginnt. Die Ärzte halten den fürchterlichen Gestank nicht aus und beeilen sich, wie sie nur können. Ihr Untersuchungsergebnis: „Britischer Offizier, der unverletzt in Wasser fiel und ertrank. Lag etwa acht bis neun Tage im Wasser“

Die Briten sind penibel bis zuletzt. Sie setzen den Namen Martins auf die Liste der vermissten britischen Offiziere in der „Times“. Parallel dazu setzen sie eine Reihe von dringenden Depeschen an die Botschaft, um jeden Preis die Unterlagen zurück zu bekommen, aber so, dass die Spanier nichts merken. Wie erwartet, kriegen natürlich die Spanier und die Deutschen alles mit.

Nur wie erfahren die Allierten, dass die Deutschen in ihre Falle getappt sind? Ganz einfach: im Umschlag mit den Unterlagen befinden sich zwei dünne Härchen einer Augenbraue. Diese sind so klein, dass ein potentieller Spitzel, der diese Unterlagen herausholt, sie nicht bemerken kann. Als der Umschlag endlich wieder in den Händen der Briten ist, fehlen diese. „Mincemeat swallowed whole“ telegrafieren die Briten an Churchill, der sich zu dieser Zeit in den USA befindet. Ob der große Mann vor Freude seine Zigarre aus dem Mund oder nicht, darüber schweigen die Quellen.

Die Folge? Gewaltiger Streit zwischen Mussollini und Hilter. Der italienische Diktator ließ sich nicht täuschen und glaubte weiterhin an einen Angriff auf Sizilien, während der naivere Hitler den Dokumenten volles Vertrauen herrschte. So sehr, dass beträchtliche Kräfte von allen Kriegsschauplätzen Europas abgezogen und nach Griechenland versetzt werden.

Amerikanischer Sherman nach der Landung

Als Täuschung herauskam und die Briten tatsächlich in Sizilien angriffen, ging die Wut der Deutschen sogar soweit, dass sie ab jetzt überhaupt keinem Fund mehr getraut haben. Als sie zwei Tage nach D-Day ein Boot mit wahren Unterlagen über die Angriffsziele der Alliierten fanden, verwarfen sie diese als Fälschung, ebenso, wie die in einem zerstörten Segler gefundene Dokumente während eines Luftangriffs in Holland. Wer einmal sich verbrennt, der glaubt eben nie wieder.

Landung bei Salemo: USS Savannah getroffen

Nur… Wer zum Henker war eigentlich Martin? So ganz ist die Sache bis heute nicht klar, auch nicht, ob er tatsächlich unfallbedingt aus dem Leben schied. John und Noreen Steele schrieben in ihrem Buch, dass die vorgebliche Leiche des Obdachlosen gar kein Obdachloser sein konnte, da seine Körper bereits zu sehr verweste, so dass die Briten den ertrunkenen Seemann John Melville vom HMS „Dasher“ genommen haben, als dieser in Clyde explodierte. Spätere Untersuchungen ergaben jedoch, dass der Tote tatsächlich Glyndwr Michael war, ein Alkoholiker und Obdachloser, der Rattengift trank, ob aus Versehen oder nicht, ist bis heute ungeklärt. Er liegt nun begraben in Huelvie und an seinem Grab steht „Glyndwr Michael, served as major William Martin, RM“.

Bewundernswert ist aber, dass für die Pflege des Grabes das deutsche Konsulat in Huelvie aufkommt.